Rechtsmissbräuchliche Zwangsvollstreckung entgegen § 91 Abs. 2 ZVG gestoppt

Der Rechtsgedanke des § 91 Abs. 2 ZVG fruchtbar gemacht

 

01.09.2010 / 21.12.2011

 

In einem spektakulären Fall hatte das Landgericht Freiburg darüber zu befinden, ob § 91 Abs. 2 ZVG auch in umgekehrter Richtung Anwendung findet. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Ein Schuldner hatte ein Darlehen bei einer Bank aufgenommen und als Sicherung zwei Grundstücke mit Grundschulden belastet. Auf einem der Grundstücke waren zugunsten der Bank zwei Grundschulden auf den beiden ersten Rängen und auf dem anderen Grundstück für den Restbetrag eine weitere erstrangige Grundschlud eingetragen.

 

Die Bank ging nunmehr aus der zweitrangigen Grundschuld vor, welche wertmäßig weit unter der erstrangigen lag. Der Ersteigerer erhielt den Zuschlag zu einem Preis, der ca. bei der Hälfte des Verkehrswertes lag. Er übernahm gem. § 52 ZVG auch die erstrangige Grundschuld. Mit der Bank vereinbarte der Ersteigerer nach der Versteigerung, dass die erstrangige Grundschuld in Höhe von ca. 1/10 des tatsächlichen Wertes abgelöst und gelöscht würde.

 

Die Bank betrieb nunmehr die Versteigerung des zweiten Grundstückes, auf dem sie die erstrangige Grundschuld ebenfalls besaß. Begründung war, dass aufgrund der Zwangsversteigerung des ersten Grundstückes und aufgrund der geringwertigen Ablösung der erstrangigen Grundschuld ein Restbetrag der Forderung übrig sei und keine andere Sicherung mehr vorläge.

 

Aufgrund dieses „Tricks“ wollte die Bank beide Grundstücke verwerten und ein völlig undurchsichtiges Geschäft mit dem Ersteigerer abschließen. Wer verkauft im normalen Geschäftsbetrieb eine bestehende und liquidationsfähige Forderung für lediglich 1/10 des Nennbetrages!

 

Das Gericht gelangte im Zuge der Vollstreckungsabwehrklage zu der Auffassung, dass eine sogenannte Liegenlassensvereinbarung nicht existierte. Eine solche Vereinbarung wird gewöhnlicherweise nur dann geschlossen, wenn aus einer erstrangigen Grundschuld vorgegangen wird und eine nachrangige bestehen bleiben soll. Ohne eine solche Vereinbarung würden alle nachrangigen Grundschulden erlöschen, soweit sie nicht ins geringste Gebot hineinfielen.

 

Hier ging die Bank aber aus einer zweitrangigen Grundschuld vor, sodass die erstrangige ohnehin per Gesetz gem. § 52 ZVG bestehen blieb. Der Ersteigerer muss sie übernehmen, kann dafür aber im Gegenzug sein Bargebot um die Höhe der Grundschulden reduzieren.

 

Das Landgericht Freiburg sah in dem hier vorliegendem Fall eine Verletzung von Treu und Glauben. Der Ersteigerer hat die Grundschulden übernommen und sie für 1/10 des Nennbetrages abgelöst. Da es sich hierbei zweifellos um eine Vereinbarung zwischen Bank und Ersteigerer handelte, erkannte das Gericht, dass über § 242 BGB (Treu und Glauben) der „Rechtsgedanke des § 91 ZVG fruchtbar gemacht werden könne“.

 

Dies bedeutet, dass sich die Bank so behandeln lassen musste, als habe sie nicht nur das Bargebot, sondern auch den Nennbetrag der stehen gebliebenen Grundschuld erhalten. Die anderslautende Vereinbarung widerspricht Treu und Glauben und ist sittenwidrig, weil sie einseitig den Schuldner belastet.

 

Diesen Fall gab es ersichtlich noch nicht in der Rechtsprechung, sodass die Bank in Berufung ging, um die Angelegenheit obergerichtlich überprüfen zu lassen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe (Zivilsenate in Freiburg) hat am 21.12.2011 die Ansicht des Landgerichts Freiburg vollumfänglich bestätigt und die Berufung zurückgewiesen. Damit steht fest, dass ein solch rücksichtsloses Vorgehen gegen Treu und Glauben verstößt. Die Grundschuld auf dem zweiten Grundstück des Schuldners wird gelöscht und der Gläubiger hat die Überzahlung aus der Zwangsversteigerung an den Schuldner zu erstatten. Diese berechnet sich nicht nur auf der Basis des geringeren Bargebots, sondern des realen und des fiktiven Zuflusses infolge der Übernahmevereinbarung.

 

 

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